Deshalb arbeite ich nach der PH nicht als Lehrer

Kinder wollen gesehen werden. Kinder wollen in ihrer Einzigartigkeit beachtet werden.

Dieser Aussage von Gerald Hüther stimme ich zu. Als ich im Rahmen eines sechsmonatigen Praktikums an einer Oberstufe unterrichtete, realisierte ich jedoch, dass ich den Kindern meiner Klasse nicht gerecht wurde. Ich konnte nicht auf die über 20 Schülerinnen und Schüler einzeln eingehen, sie alle in ihrer Einzigartigkeit beachten. Das frustrierte mich. Stattdessen war ich mit Fächern, Lektionsplanung, zu vermittelndem Stoff, Klassen- und Zeitmanagement beschäftigt und versuchte, möglichst störungsfreien Unterricht zu gestalten. Darum geht es im Beruf Lehrperson. Der Name alleine zeigt bereits, dass das Lehren, also das Vermitteln im Mittelpunkt steht. Hüther sagt dazu:

Es braucht deshalb keine Lehrpersonen, sondern Potenzialentfalter. Kinder werden behandelt, unterrichtet, bewertet, selektiert…

Potenzialentfalter und Lernbegleiter möchte ich sein. Die Jugendlichen sehen, sie auf ihrem einzigartigen Weg unterstützen. Sie und ihr Lernen ins Zentrum stellen. Leider wurde ich dafür an der PH nicht ausgebildet. Mein Studium drehte sich vor allem um den zu vermittelnden Stoff (Fachwissenschaft) und wie ich als vermittelnde Person diesen unterrichte (Fachdidaktik), nicht auf den Jugendlichen, ihrem Entwicklungsstand und den Themen, in welchen sie gerne wachsen möchten. Von allen 107 Veranstaltungen, die ich im Verlauf der letzten 6 Jahre absolviert habe, hatten nur ca 4 Seminare den Fokus auf den Jugendlichen, wie sie lernen, funktionieren und was gut für sie ist. Die Schule sollte doch helfen, das Potenzial der Kinder zu entfalten, sie in ihrer Entwicklung zu begleiten. Weshalb werden wir an der PH trotzdem nur darauf vorbereitet, möglichst viel Fachwissen zu besitzen und wie man einen Stoff möglichst gut didaktisch aufbereitet? Aktuelle Erkenntnisse aus der Hirnforschung werden im Studium fast vollständig ignoriert. Man weiss eigentlich, wie Kinder optimal lernen. Trotzdem habe ich gelernt, eine 45min-Lektion komplett durchzutakten und möglichst ohne Störungen durchzuführen, unabhängig davon, ob die Kinder überhaupt bereit sind zu lernen.

In der Schweiz gibt es zahlreiche Initiativen und Privatschulen, die bereits Fächer, Noten, Lektionen, Unterricht abgeschafft haben und selbstbestimmtes Lernen praktizieren. Gerade gestern habe ich den Film Bratsch - Ein Dorf macht Schule gesehen und bin einmal mehr fasziniert von den Möglichkeiten, die sich auch ausserhalb des traditionellen Bildungssystems bieten.

Die genannten Umstände und inspirierenden Bildungsinitiativen wie Bratsch, Schule Fokus, Grundacher Schule und viele weitere haben zu meinem Entschluss geführt, trotz erfolgreichem Studiumsabschluss nicht als Lehrer an einer klassischen, öffentlichen Schule zu unterrichten. Viel lieber und mit mehr Freude suche ich mir meinen Weg in Projekten wie Colearning (Vermischung von Erwachsenen und Jugendlichen) und YOLU (Ausbildung von Lernenden), welche nicht das Lehren, sondern das Lernen ins Zentrum stellen.